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"Liebestoll" am Rheinland-Pfalz-Tag

Bernd Eßling

Eine mitreißende Liebesgeschichte, Illumination, viel Musik, aber auch ernste Worte prägten den Auftritt der evangelischen Kirche und der Diakonie beim Rheinland-Pfalz-Tag im und um den Alten Dom St. Johannis und auf dem Leichhof. Beim ersten großen Fest seit dem Beginn der Corona-Pandemie sah man viele fröhliche Gesichter. Ein Hauch von Kirchentag wehte hier.

„Vergessen Sie Romeo und Julia – die tollste Liebesgeschichte des Mittelalters ist die zwischen Irmgard und Otto von Hammerstein“, stimmte Dekan Andreas Klodt die Besucher auf dem Leichhof auf die multimediale Inszenierung ein, die der international renommierte Künstler Parviz Mir-Ali gemeinsam mit dem hessen-nassauischen Pfarrer Fabian Vogt eigens für  den protestantischen Auftritt beim Rheinland-Pfalz-Tag zum 75-Jahr-Jubiläum des Bundeslandes geschaffen hat.

„Liebestoll“ heißt das vorproduzierte Werk, in dem Miriam Küllmer-Vogt (Irmgard), Christoph Gérald Stein (Otto), Alexander Beck (Erzbischof Erkanbald)  und Fabian Vogt (Papst) die Protagonisten verkörpern – aufgeführt  am Originalschauplatz im Alten Dom St. Johannis. Ein Chronist hatte das Paar einst als „liebestoll“ bezeichnet. Dass die Archäologen um Grabungsleiter Guido Faccani hier im Jahr 2019 den Fund des Sarkophags von Erzbischof Erkanbald wissenschaftlich nachweisen konnten, hat sich weit über die Landeshauptstadt hinaus herumgesprochen. Aber die Liebesgeschichte von Irmgard und Otto von Hammerstein aus dem 11. Jahrhundert – davon erfuhren die meisten Besucher erst jetzt vor Ort durch die wunderbare Inszenierung von Parviz Mir-Ali. Die Akteure und Zuschauer tauchten gemeinsam in die historische Kulisse ein und erlebten einen Erzbischof Erkanbald, der die Ehe des Liebespaares wegen eines vermeintlich zu nahen Verwandtschaftsgrades für ungültig erklären ließ. Womöglich hatte er es jedoch auf die Ländereien des Otto von Hammerstein abgesehen. Miriam Küllmer-Vogt schwärmt: „Irmgard legte sich mit Kaiser und Klerus an, um für ihre Liebe zu kämpfen.“ Irmgard wurde deshalb sogar beim Papst vorstellig. Ein mutiges Unterfangen, urteilt Autor Fabian Vogt. Die Geschichte von Irmgard und Otto habe man sich damals von der Nordsee bis hin zu den Alpen erzählt.

Sabine Geiß (57) aus Mainz hat sich die Inszenierung gerade angeschaut und ist begeistert: „Ich fand es interessant, etwas über die handelnden Personen der damaligen Zeit zu erfahren. Und alle vier Schauspieler haben mir sehr gut gefallen. Vor allem das Liebesparr kam sehr sympathisch rüber.“ Der Bischof allerdings „natürlich nicht“. Aber das sei ja wohl Absicht gewesen. Die Verwandtschaft sechsten Grades, die Erkanbald dem Liebespaar unterstellt haben soll, war wohl eher aus der Luft gegriffen, vermutet die Besucherin. Pfarrerin Petra Eschmann, Referentin für Kommunikationsprojekte der EKHN, war voll des Lobes: „Mit dieser Liebesgeschichte gelingt es, eine Brücke zu schlagen von einem geschichtsträchtigen Ort in die Gegenwart. Auch heute geht es um die Liebe zu Gott und den Menschen.“

Darum ging es in der Tat auch bei den zahlreichen musikalischen Darbietungen auf dem Leichhof, angefangen mit den „Lutherans“ der Philippus-Gemeinde Bretzenheim, die neben kirchlichen Pop-Songs einige Beatles-Titel und sogar die Mainz-05-Hymne „Wir alle, wir leben im Schatten des Doms“ anstimmten. Dies war ja durchaus im wörtlichen Sinn zu verstehen. Zur musikalischen Vielfalt trugen unter anderem die  evangelischen Kinderchöre aus Gonsenheim und Finthen bei, die  Crossover-Band der evangelischen Auferstehungsgemeinde, die Kinderchöre der Luthergemeinde sowie Victor Pribylov, ein aus Kasachstan stammender Bajan-Spieler, einer osteuropäischen Form des chromatischen Knopfakkordeons. Viele Besucher freuten sich sichtlich, nach zwei Jahren Pandemie endlich mal wieder gemeinsam feiern zu dürfen. Dekan Klodt nannte es ein komisches, aber auch ein gutes Gefühl. Er stellte sich am Freitag als erster Gesprächspartner den Fragen des Moderatoren-Duos Simone Kienast (Hessischer Rundfunk) und Linus Kraus (SWR). Sie präsentierten  das Bühnenprogramm auf sehr angenehme Weise – flott, humorvoll und bestens eingespielt.

Oft sprachen Kienast und Kraus auch das Publikum direkt an: „Wer erinnert sich noch an seinen Tauf- oder Konfirmationsspruch?“ Da gab es durchaus einige Menschen, die ihre Hände hoben. Janine Knoop-Bauer, die Rundfunkbeauftragte der Evangelischen Kirchen beim SWR, gehörte als Bühnengast dazu. Bei ihr war es Psalm 23,6, der sich für sie im Rückblick gesehen immer bewahrheitet habe: „Güte und Barmherzigkeit werden mir folgen mein Leben lang, und ich werde bleiben im Hause des Herrn immerdar.“

Auch Guido Faccani stand Rede und Antwort. Sein Tipp an andere Kirchengemeinden: „Das Letzte, was man in einer alten Kirche erneuern sollte, ist die Heizung.“ Der Schweizer spielte damit humorvoll darauf an, dass die Johannisgemeinde die Grabungen in Auftrag gegeben hatte, um eine neue Heizung einbauen zu lassen. Natürlich bestand an beiden Tagen auch die Möglichkeit, den Westchor des Alten Domes – die Grabungsstätte der Archäologen – zu besuchen. Wunderbar illuminiert und in Szene gesetzt. Diese Gelegenheit nutzten auch Volker Zimmermann (65) aus Bischofsheim und seine Freunde: „Ich bin 1000 Mal an der Kirche vorbei gegangen, ich war aber noch nie drin.“ Die Geschichte mit der Fußbodenheizung und dem spektakulären Fund ist ihm vertraut. Umso erfreuter war er, den Sarkophag des Erkanbald jetzt tatsächlich vor Ort selbst in Augenschein nehmen zu dürfen. „Wir werden sicher noch einmal herkommen, um uns die Kirche in Ruhe anzuschauen“, sagte er beim Hinausgehen.

Großes Interesse fanden am  Samstag die Gespräche auf der „Blauen Couch“ der Diakonie auf der Leichhof-Bühne. Den Auftakt machten Dorothee Wüst, die Kirchenpräsidentin der Evangelischen Kirche in der Pfalz, und der Mainzer Bischof Dr. Peter Kohlgraf. Sie hatten zuvor den großen ökumenischen Gottesdienst zum Rheinland-Pfalz-Tag im Dom gemeinsam zelebriert. „Was leisten die Kirchen, damit Rheinland-Pfalz gut voran kommt“, fragte Moderator Albrecht Bähr, der pfälzische Landespfarrer für Diakonie und Sprecher der Arbeitsgemeinschaft der Diakonischen Werke in Rheinland-Pfalz. Wüst und Kohlgraf verwiesen unter anderem auf die Leistungen in der Diakonie und auf die Arbeit in den Kitas. Und: „Menschen werden sich weiterhin aus ihrer christlichen Gesinnung heraus für die Gemeinschaft einbringen“, versicherte Kohlgraf. „Aber damit die Stimme gehört wird, muss man sie erheben.“ Müssen die Kirchen ihre Haltungen zum Frieden angesichts des Krieges in der Ukraine überdenken? Nein, sind sich Wüst und Kohlgraf einig. „Es ist das kleinere Übel, Waffen einzusetzen“, ist die Kirchenpräsidentin überzeugt. Und: „Die Erschütterung des Krieges vor unserer Haustür darf nicht dazu führen, andere Kriege aus den Augen zu verlieren.“ Kohlgraf, der auch Präsident von Pax Christi ist, betonte: „Das Schweigen der Waffen ist noch kein Frieden.“

Die Finther Kinderchöre schließlich sorgten mit ihren mit viel Herzblut vorgetragenen Liedern – wofür sie großen Beifall erhielten – für eine stimmungsvolle Überleitung zum Auftritt von Ministerpräsidentin Malu Dreyer auf der „Blauen Couch“. „Wie gelingt es Ihnen, trotz Katastrophe im Ahrtal, Mord an Polizisten und Krieg in der Ukraine meistens ein frohes Gesicht zu machen?“ Auf die Frage von Albrecht Bähr bekannte Dreyer, dass es in den vergangenen beiden Jahren viele Momente gab, „die mich nicht fröhlich gemacht haben“. Das Leid im Ahrtal habe ihr Herz schwer gemacht. Aber es hat Dreyer beeindruckt, „wie die Menschen im Land mit viel Solidarität zueinander stehen – und das möchte ich auch als Vorbild leben.“ Die Mehrheit der Gesellschaft stehe für Toleranz und Vielfalt. Sie beschwor den Zusammenhalt untereinander – „den Zusammenhalt in Krisen, aber nicht nur in Krisen“. Den Besucherinnen und Besuchern rief sie zu: „Bringen Sie sich ein – dann geht es uns weiterhin gut in Rheinland-Pfalz.“ Als Geschenk überreichte sie ein am Vormittag im Druckladen des Gutenbergmuseums entstandenes Motiv der Friedenstaube. Es sind starke Zeichen, die von diesem „kleinen Kirchentag“ im Schatten der beiden Mainzer Dome ausgehen.

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