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Dr. Ralf Kötter referiert in Eich über die Zukunft der Kirche

Die Kirchengemeinde als Servicegemeinschaft

Torben SchröderDr. Ralf KötterDr. Ralf Kötter

Der Untertitel seines Buches zeigt an, wohin die Reise gehen soll. „Das Land ist hell und weit“, heißt der vor sechs Jahren erschienene 250-Seiter von Dr. Ralf Kötter. Untertitel: „Leidenschaftliche Kirche in der Mitte der Gesellschaft“.

Im Eder- und Elsofftal im Westerwald haben viele ihren früheren Pfarrer als Innovator und „Vordenker“ (Siegener Zeitung) in Erinnerung. Kirche neu denken, ist sein Anspruch. Klar, dass man damit auch aneckt. „Verschwörung zum Leben“ ist, wiederum programmatisch, der Vortrag betitelt, den Kötter beim Studiennachmittag im evangelischen Gemeindehaus in Eich gehalten hat.

„Kirche wird osmotisch und fluide sein, nicht mehr berechenbar. Wir können uns nicht mehr auf feste Formeln berufen, die wir bloß exekutieren“, lautete die Ausgangsthese des Dozenten in der Aus- und Weiterbildung der Evangelischen Kirche Westfalen. Kötter spricht von einer Haltung der Offenheit und des Interesses am anderen. Von richtigen Fragen anstelle vorgefertigter Antworten. Eine Anekdote zum Einstieg: Die Großmutter fragt ihre Enkeltochter, was ihr am Gottesdienst am besten gefallen habe. „Das Hallo Julia!“ Ein Hörmissverständnis, das zeige: Kirchgänger möchten angesprochen werden.

Partizipation und Teilhabe, dahin gehe auch in Politik und Verwaltung die Reise. Auf der Gegenseite steht die Diagnose des Theologen Michael Domsgen, wonach die „kirchliche Kommunikation für viele Familien nicht mehr anschlussfähig ist“. Das gehe dabei los, dass nicht mehr nur in traditionellen Familienbildern gedacht werden dürfe, den entsprechenden Sozialdruck inklusive. Die Kirche pflege ihr inneres Gemeinschaftsleben, verliere darüber aber die Welt um sich herum aus den Augen. „Sind unsere Strukturfragen noch kompatibel mit den Interessen der Welt?“, fragte Kötter eher rhetorisch in die Runde.

Je nach Untersuchung leiden 50 oder auch 70 Prozent der Pfarrer unter Burnout-Symptomen. „Weil wir alles kontrollieren wollen, statt ergebnisoffene Prozesse zuzulassen.“ Der Kirchengeschichtler führt das ganz große Wort im Munde. „Haben wir uns zu sehr auf die Formate konzentriert und die Formation vernachlässigt?“ Um eine Re-Formation gehe es. Spätestens seit Einführung der Kirchensteuer sei die Kirche im „Mitgliederparadigma“ verfangen. „Seit dem 19. Jahrhundert kämpfen wir um uns selbst, das gab es vorher nicht“, lautet seine Diagnose.

Was ist die Alternative? Kötter berichtet von seinem eigenen Ansatz. Das Ziel, ganz plakativ: „überall Kirche finden.“ Ausgangspunkt sei das Engagement im Dorf, im Stadtteil, sich gemeinsam mit den säkularen Einrichtungen um die Verbesserung der Lebensbedingungen zu kümmern. Zum Beginn seiner Tätigkeit als Gemeindepfarrer 1997 habe er relativ schnell den Weg zur heimischen Wirtschaft gesucht. Nicht, um um Mittel zu bitten, sondern mit der Frage: „Was brauchen die Menschen?“ Erst mal ganz unkirchlich gedacht, die Kirchengemeinde als „Servicegemeinschaft“.

Bald fanden sich Ortsbürgermeister und Amtsrichter im Gemeindebeirat wieder. Bald gab es wieder eine Gemeindeschwester, vom Landkreis finanziert. Bald gab es Betreuungsangebote für Kinder und Demenzkranke, Kooperationen mit Vereinen, die Anbindung von Dorfladen und Arztpraxis, Internetkurse von Jugendlichen und Senioren, Gottesdienste im Livestream. Kötter berichtet von einem ganz großen, umfassenden Netzwerk. Und vom Vertrauen der Menschen gegenüber dem Pfarrer – als Teil dieses Netzwerks, nicht als Amtsträger. Eine Spende aus der Wirtschaft habe es dann doch gegeben – 45.000 Euro für einen im Ehrenamt betriebenen Bürgerbus.

„Der Vorwurf am Anfang war: Der macht die Kirche kaputt“, erzählt Kötter. Die schrumpfenden Mittel in außerkirchliche Aktivitäten zu pulvern, leuchtete längst nicht jedem ein. „1997 bestand unser Haushalt zu 80 Prozent aus der Kirchensteuer, 2013 nur noch zu 20 Prozent“, berichtet Kötter, „und ich glaube, lange wird unser Kirchensteuersystem nicht mehr halten.“ Nicht um Missionierung gehe es, sondern um eine im Alltag präsente, wertvolle Kirche, der darüber auch Refinanzierungen gelingen. „Das ist kein Ausverkauf der Kirche – sondern unsere Botschaft wird wieder glaubwürdig.“ Biblische Leitsätze der Sorte „Wer da sät im Segen, der wird auch ernten im Segen“ gebe es schließlich zuhauf.

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