„Wieso trägst du auch so einen kurzen Rock?“, „Du zerstörst unsere Familie!“ oder auch „Warum hast du nicht aufgepasst?“ – Es sind Sätze wie diese, die den Teilnehmenden am Fachtag des Evangelischen Dekanats Worms-Wonnegau zum Thema sexualisierte Gewalt unter die Haut gingen. Dafür sorgte auch die musikalische Begleitung durch den Pianisten Johannes Noack, der im sphärischen Klangteppich immer wieder Kinderlieder andeutete.
Dekanat soll Safe Space werden
„Sexualisierte Gewalt ist eine bittere Realität. Auch in der evangelischen Kirche. Menschen haben in unseren Räumen und durch unsere Haupt- oder Ehrenamtlichen sexualisierte Gewalt erlitten. Jeder einzelne Mensch, der so an Leib und Seele Schaden genommen hat, ist einer zu viel“, begrüßte Dekanin Jutta Herbert die Anwesenden, die am vergangenen Samstag im Horchheimer Gemeindezentrum am Fachtag teilgenommen haben. Es gebe viele Systeme, besonders Machtstrukturen und geistliche Abhängigkeiten, die kritisch betrachtet werden müssten, vor allem aber sei entscheidend, dass man diese benenne und sensibler werde für Grenzverletzungen“, fand die Dekanin deutliche Worte. Umso mehr freue sie sich darüber, dass über 50 Menschen aus Haupt- und Ehrenamt an diesem Tag nach Horchheim gekommen seien, um dazu beizutragen, „dass unser Dekanat ein möglichst sicherer Ort – ein Safe Space – für alle Menschen wird“, so Herbert.
Die Scham muss die Seite wechseln
34 Jahre vergehen im Schnitt zwischen Tat und Meldung, informierte Dr. Petra Knötzele von der Fachstelle gegen sexualisierte Gewalt der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau (EKHN), unter deren Federführung der Studientag stattgefunden hatte. „Dieses – zumeist von anderen auferlegte – Schweigen ist nur schwer zu ertragen“, wusste Matthias Schwarz zu berichten. Der Pfarrer wurde in seiner Jugend selbst Opfer sexualisierter Gewalt und engagiert sich heute als Betroffenenvertreter im Beteiligungsforum der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) und ist Mitarbeiter der Fachstelle gegen sexualisierte Gewalt der EKHN. „Die Opfer fühlen sich schuldig, doch die Scham muss endlich die Seite wechseln!“, forderte Schwarz und ergänzte: „In der EKHN werden entsprechende Stimmen laut, aber sie sind noch sehr leise.“
Sensibler werden für Grenzüberschreitungen
Dr. Peter Diehl, der sich seit vielen Jahren ehrenamtlich für die Wormser Dreifaltigkeitsgemeinde engagiert, diskutierte während der Gruppenarbeit mit anderen Teilnehmenden lange über den Umgang mit Grenzen: „Grenzüberschreitungen beginnen schon lange vor der Ausübung von sexualisierter Gewalt,“ so Diehl. „Die Ansprüche an uns sind groß“, stellte ihrerseits Ulrike Kühnle fest. Sie ist hauptamtlich im Dekanat tätig und räumte ein: „Wir müssen noch viel sensibler für dieses Thema werden.“ Damit dies gelingt hat die Fachstelle gegen sexualisierte Gewalt der EKHN Plakate entwickelt, die auf sexualisierte Gewalt aufmerksam machen und Kontaktdaten nennen, unter denen man bei Bedarf Hilfe findet – auch kirchenunabhängig. „Wir wünschen uns, dass die Plakate bald in jedem Schaukasten der Kirchengemeinde und an jedem schwarzen Brett in den Kindergärten des Dekanats zu sehen sind“, so Anette Neff von der landeskirchlichen Fachstelle gegen sexualisierte Gewalt.
Fachtag war erst der Anfang
Für das Evangelische Dekanat Worms-Wonnegau stellte der Fachtag den Auftakt einer ganzen Reihe von Maßnahmen dar, die im Rahmen von Aufarbeitung und Prävention sexualisierter Gewalt ergriffen werden. So wird von Januar bis April 2025 die Wanderausstellung „Kinder in Heimen von 1945 bis 1975“ im Dekanatsgebiet unterwegs sein. Als Eröffnungsveranstaltung wird Karl-Heinz Deichelmann aus dem Buch “Entstellter Himmel: Berichte über sexualisierte Gewalt in der evangelischen Kirche” lesen, für die musikalische Begleitung konnte Katharina Schmitt gewonnen werden.